Freitag, 15. Mai 2009

Der subjektive und der objektive Absolutheitsanspruch

Der objektive Absolutheitsanspruch sagt: Mein Glaube ist der einzig wahre, weil die Bibel (der Papst, der Koran oder irgendeine andere Autorität) es zweifelsfrei bezeugt und weil von mehreren einander widersprechenden Aussagen nur eine wahr sein kann.

Diese Behauptung geht von dem Denkfehler aus, daß Glaubenswahrheiten ihrem Wesen nach dasselbe seien wie die Wahrheit mathematischer Gleichungen. Aber wenn jemand von sich behauptet, er allein vertrete die Wahrheit, dann ist Dialog unter gleichen Partnern nicht möglich. Daher ist jeder objektive Absolutheitsanspruch naturgemäß und zwangsläufig intolerant. Ein Dialog auf gleicher Augenhöhe ist nur dann möglich, wenn die Gesprächspartner ihre gegensätzlichen Wahrheiten als gleichberechtigt akzeptieren.

Dagegen bedeutet der subjektive Absolutheitsanspruch: Mein Glaube ist für mich unbedingt wahr. Das schließt nicht aus, daß dein Glaube für dich gleichermaßen die Wahrheit ist. Meine religiöse Erfahrung ist die für mich einzig wahre, weil ich nur von ihr (und von keiner anderen!) zutiefst berührt und verändert worden bin, weil ich nur in dieser Glaubenstradition (und in keiner anderen!) meine geistliche Heimat gefunden habe und weil nur dieser (und kein anderer!) mein Weg ist, auf dem allein ich die Verbindung mit dem Heiligen spüre. So sagt also der subjektive Absolutheitsanspruch: Mein Glaube ist meine Wahrheit, aber nicht die Wahrheit. Mein Weg ist kein besserer Weg als deiner, er ist nur ein anderer Weg zum selben Ziel. Mit dieser Einstellung könnte die Heilung der Konflikte zwischen den Religionen beginnen.

Dabei geht es keineswegs um eine Beliebigkeit des eigenen Glaubens, von dessen Richtigkeit man etwa nicht überzeugt sein müsse. Es ist – im Gegenteil! – eine der notwendigen Voraussetzungen für einen fruchtbaren interreligiösen Dialog, daß man einen klaren Glaubensstandpunkt hat und damit seine eigene Wahrheit vertritt.

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