Donnerstag, 7. Mai 2009

Religion, Religiosität und Interreligiosität - Versuch der Begriffsbestimmung

Das Wort „Religion“ ist mehrdeutig. Unter „Religion“ verstehen wir zunächst die lebendige spirituelle und innerlich verpflichtende Beziehung des Men­schen zu der transzendenten Macht über allem Sein. In diesem Sinne gibt es eigentlich nur eine Religion, die in sehr vielen verschiedenen äußeren Formen und mit ganz unterschiedlichen Lehrsystemen zum Ausdruck kommt. Diese ist sozusagen die „Religion hinter allen Religionen“, die sehr früh aus ihr geworden sind. Es entstanden komplizierte Theorie­gebäude, Organisationen mit Hierarchien, Institutionen mit festgefügten Strukturen. Ein solches institutionalisiertes System wie zum Beispiel das Judentum, das Christentum und der Islam wird ebenfalls „Religion“ genannt. In diesem Sinne gibt es viele Religionen. Dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, verwende auch ich das Wort „Religion“ hier mit diesen beiden Begriffsinhalten. Die jeweilige Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext.

Mit „Religiosität“ ist die Empfänglichkeit und Empfindsamkeit des Menschen für eben diese transzendente Wirklichkeit gemeint, wie auch immer sie gedacht und erfahren wird. Religiosität ist nicht an eine bestimmte Religion gebunden, aber in jeder Religion zeigt sie sich auf eine andere, charakteristische Weise.

„Interreligiosität“ nun ist jene besondere Form der Religiosität, die nicht nur auf den eigenen Glauben beschränkt ist, sondern ein die Grenzen der eigenen Religion überschreitendes Fühlen und Ahnen, Suchen und Erfahren darstellt. Die Interreligiosität erkennt die Einheit der Reli­gionen und sucht mit Andersglaubenden den gleichberechtigten Dialog zur gegenseitigen Befruchtung.

In seinem Vortrag „Zur Theorie und Praxis der Toleranz – eine interkulturelle und interreligiöse Perspektive“ beschreibt der indische Philosoph Ram Adhar Mall (*1937) das Wesen der Interreligiosität noch genauer. Es heißt da: „Interreligiosität ... ist ... nicht selbst eine Religion, der man angehören könnte. Sie ist der Name einer Haltung, Einstellung... Interreligiosität als eine alle positiven Religionen transzendierende, diese zugleich wie ein Schatten begleitende Haltung, verhindert Fundamentalis­mus und erzeugt Bescheidenheit, Toleranz, Respekt und Offenheit“. Interreligiosität macht „das eine göttliche Wahre ... in vielen positiven Religionen hörbar“, sie ermöglicht daher „einen befreienden Diskurs unter den Religionen“, und sie lehrt uns, zwischen dem religiösen Gegen­stand (z.B. Gott) und den verschiedenen Interpretationen dieses Gegen­standes zu unterscheiden.“ (Mall, Ram Adhar: Zur Theorie und Praxis der Toleranz. Eine interkulturelle und interreligiöse Perspektive, Frankfurt/Main 2003, S. 13)

Hier wird eine wichtige Erkenntnis formuliert, die mir am Herzen liegt: Der Gegenstand ist nicht identisch mit irgendeiner Interpretation! Nur mit diesem Wissen wird es schließlich möglich, „daß jeder Gläubige in seiner jeweiligen Glaubensform die unmittelbare, sichere und absolute Präsenz des Numinosen erfährt, ohne Angst und Groll darüber zu empfinden, daß es Andersgläubige gibt, die das eine Göttliche ebenso erfahren“ (ebenda, S. 20).

Das „Numinose“ ist abgleitet von lat. „numen“ = göttliche Wesenheit, Gottheit (ohne persönlicheGestalt, aber mit Wirkkraft) – (Wahrig. Fremdwörterlexikon, München 1999). Für den interreligiösen Dialog bietet sich der Gebrauch des Wortes „das Numinose“ als Ersatz für das Wort „Gott“ an, um Religionen (wie etwa den Buddhismus) mit einzuschließen, in denen kein (persönlicher) Gott verehrt wird. Der Buddhismus lehnt Götter zwar nicht ab, sondern hält sie durchaus für verehrungswürdig, aber diese Götterverehrung gilt nur als etwas Vorläufiges. Die eigentliche, weil höchste und letzte Wirklichkeit, ist nicht nur nicht zu sehen, sie ist auch nicht durch Begriffe zu begreifen. (Siehe dazu auch Küng, Hans: Wozu Weltethos?. Im Gespräch mit Jürgen Hoeren, Freiburg/Basel/Wien, 2002, S. 92)

Interreligiosität bedeutet jedoch nicht, den eigenen Glauben zu verwässern oder gar aufzugeben, denn der Dialog mit Andersglaubenden ist nur von einem festen Standpunkt der eigenen Religion aus möglich. Diese Identifikation mit der eigenen Religion führt allerdings auch sehr schnell zur Intoleranz, wenn man nicht bereit ist, dem Andersglaubenden dasselbe Recht auf Identifikation mit seiner Religion einzuräumen.

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